Diplomarbeit "Eine Klassifizierung von Geschäftsmodellen im Internet" – Risiken des Electronic Commerce

Auszug aus der Diplomarbeit „Eine Klassifizierung von Geschäftsmodellen im Internet„.

2.4.2 Risiken des Electronic Commerce

Neben den Chancen birgt der Auftritt im Internet auch Risiken. Vor der Umsetzung eines Internet-Angebots sollten folgende Risiken nicht unberücksichtigt bleiben :

Aufwand: Die elektronische Geschäftsabwicklung via Internet erfordert in den meisten Fällen einen erheblichen finanziellen, organisatorischen und technischen Aufwand. Ins-besondere im Business-to-Consumer-Bereich ist häufig die Entwicklung komplexer Ver-triebs- und Logistiksysteme erforderlich.

Verschärfter Wettbewerb: Aufgrund der niedrigen Markteintrittsbarrieren für neue Un-ternehmen verschärft sich der Wettbewerb und die Wettbewerbsintensität zwischen den Anbietern im Internet.

Technologie: Die kurzen Innovationszyklen der einzusetzenden Technologien erfordern im Unternehmen ein umfangreiches technisches Know-How. Aufgrund der in Deutschland noch immer relativ hohen Telekommunikationskosten sowie der geringen Penetration von PC und Internet erfolgt die Verbreitung des Electronic Commerce in Deutschland nur sehr zögerlich.

2.4.3 Folgen für traditionelle Geschäftsmodelle

Mit der erfolgreichen Etablierung des Mediums Internet als ein lukratives Geschäftsfeld für neue und etablierte Unternehmen gehen teils einschneidende Veränderungen in tradi-tionellen Geschäftsmodellen einher. Insbesondere wird „Electronic Commerce in den nächsten Jahren eine entscheidende Schlüsselgröße für die Wettbewerbspositionierung in Industrie und Handel darstellen“ ([Her, Sau98], Seite 107). Neben den Veränderungen in der Wertschöpfungskette der Unternehmen werden traditionelle Unternehmen vor allem eine Intensivierung des Wettbewerbs spüren und Transformationen traditioneller Vertriebsstrukturen hinnehmen müssen.

2.4.3.1 Intensivierung des Wettbewerbs

Das Agieren im Internet erfordert ein hohes Maß an Flexibilität, Lernfähigkeit und Innova-tionsbereitschaft, da die Wettbewerbsintensität unter den Unternehmen im Geschäftsfeld Internet wesentlich höher ausgeprägt ist als in traditionellen Geschäftsfeldern. Zwar konnte in den letzten Jahren durch die zunehmende Dynamik des technologischen Wan-dels, die wachsende Internationalisierung, die Liberalisierung der Märkte sowie die stark verändernden Ansprüche der Kunden eine Verschärfung der Wettbewerbssituation fest-gestellt werden , allerdings führt der elektronische Handel im Internet zu einer erneuten Intensivierung des Wettbewerbs zwischen den Anbietern.

Die Ursache für die Zunahme der Wettbewerbsintensität ist vor allem in den niedrigen Markteintrittsbarrieren für neue innovative Unternehmen zu suchen. Internet-preneure können sich innerhalb kürzester Zeit als Autoritäten positionieren und Marktsegmente besetzen, die sich künftig zu lukrativen Einnahmequellen entwickeln , wie das Beispiel Amazon.com (USA) bzw. Telebuch (Deutschland) zeigt. Telebuch gehörte in Deutschland zu den Pionieren des Online-Buchversands und verschickte bereits Anfang der 90er-Jahre Bücher über den Online-Dienst T-Online (damals noch „Bildschirmtext“), später als einer der ersten Anbieter auch über das Internet. Ende 1997 wurde Telebuch vom amerikanischen Buchversender Amazon übernommen. Der US-Anbieter Amazon.com besetzte als Internet-Neuling bereits früh das Marktsegment des Online-Buchversands und setzte Standards, während traditionelle Buchversender erst spät das Internet als zukunftsträchtiges Medium erkannten. Die schnelle und häufige Erhöhung von Marktanteilen, um rentable Erfolgspositionen in den betreffenden Märkten aufbauen zu können, gehört daher zu einem der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Internet .

2.4.3.2 Transformation traditioneller Vertriebsstrukturen

Die tiefgreifendsten Veränderungen durch die Nutzung des Internet als neue, innovative und weltweit verfügbare Handelsplattform wird der traditionelle Handel verspüren. Hier ist oftmals ein Überdenken bisheriger Wertschöpfungsprozesse vonnöten. Auf traditionellem Vertriebswege war es bislang nur mit großem Aufwand möglich, neue Vertriebskanäle aufzubauen sowie neue Märkte zu erschließen. Mit Hilfe des Mediums Internet ist es mit relativ geringem Aufwand möglich, Produkte und Dienstleistungen international zu vertreiben und in neue Märkte vorzudringen. Dank der technischen Möglichkeiten des Internet ist zudem eine direkte Erfolgsmessung der internationalen Aktivitäten möglich.

Bei der Betrachtung der verschiedenen Stufen des traditionellen Distributionsprozesses zeigen sich in allen Stufen der Distributionskette Ansatzpunkte für den sinnvollen Einsatz von Electronic Commerce. Sowohl beim Einzelhandel, als auch beim Großhandel oder beim Hersteller selbst ist der Einsatz von Electronic-Commerce-Anwendungen sinnvoll, wie Abbildung 12 zeigt.

Abbildung 12: Einsatz des Electronic Commerce in verschiedenen Stufen des Distributi-onsprozesses

Einzelhandel: Beim Einsatz von Electronic-Commerce-Anwendungen im klassischen Vertrieb über Groß- und Einzelhandel bleibt die traditionelle Vertriebsstruktur erhalten. Die Internet-Technologie hat lediglich unterstützenden Charakter und kommt in erster Linie nur zwischen dem Einzelhandel und dem Endkunden zum Einsatz. Allerdings ergeben sich in diesem Modell Zeit- und Kosteneinsparungen lediglich beim Einzelhändler. Der Einzelhändler kann sein Absatzpotential ausbauen und durch zusätzliche Service-Angebote wie 24-Stunden-Verfügbarkeit die Kundenbindung verbessern.

Großhandel: Beim ausschließlichen Vertrieb über Großhändler erfolgt eine Substituierung des Einzelhändlers, wodurch sich direkte Vorteile für den Hersteller sowie den Großhändler ergeben. Durch den Einsatz von Electronic Commerce sowie den Wegfall der Einzelhandelsstufe ergeben sich Kosteneinsparungen, die teilweise direkt an den Kunden weitergegeben werden können. Durch den direkten Kontakt zwischen Großhandel und Endkunden entfällt der Order- und Auslierferungsprozeß zwischen Groß- und Einzelhandel, was zu Zeiteinsparungen bei der gesamten Geschäftsabwicklung führt. Zudem ergibt sich aufgrund geringerer Lieferengpässe eine verbesserte Kundenorientie-rung und – bindung.

Allerdings erfordert die Substituierung des Einzelhändlers beim Großhändler eine Anpas-sung der Distributionsprozesse. Durch den direkten Kontakt der Distributoren mit dem Kunden, ist eine Anpassung der Großhandelsstrukturen an die Erfordernisse und Bedürf-nisse der Endkunden nötig. Die Logistik des Großhandels muß in der Lage sein, indivi-duelle Bestell- und Auslieferungsprozesse auch kleineren und mittleren Umfangs abwi-ckeln zu können. Oftmals ist dann der Einsatz externe Partner – etwa Paketdienste wie Post, UPS oder DPD – notwendig. Die Umgehung des Einzelhandels durch den Einsatz von Electronic Commerce ist daher nur bei bestimmten Produktkategorien sinnvoll. Wäh-rend sich beispielsweise Elektronikartikel sehr gut für den Vertrieb über den Großhandel eigenen, ist etwa für Lebensmittel auch in Zukunft fast ausschließlich der Vertriebsweg über den Einzelhandel sinnvoll.

Direktvertrieb: Kommen Electronic-Commerce-Systeme im Rahmen eines Direktvertriebs direkt beim Hersteller zum Einsatz, ergeben sich für den Hersteller die größten Nutzenpotentiale. Da die Handelsspannen für Groß- und Einzelhändler entfallen, erzielt der Hersteller erhebliche Kosteneinsparungen, die zu Ertragssteigerungen beim Hersteller oder Preissenkungen für den Endkunden führen. Sofern der Hersteller eine ausreichende Verfügbarkeit der Produkte sicherstellen kann, ergeben sich zudem Zeitvorteile. Des weiteren ermöglicht erst der direkte Kontakt zwischen Hersteller und Kunden ein echtes One-to-One-Marketing , da der Hersteller über das Medium Internet direkt interaktive Kundenbeziehungen aufbauen kann.

Allerdings zeigt diese Form des Vertriebs auch einige Probleme auf. Die Übernahme von Vertriebsaufgaben erfordert den Aufbau der erforderlichen Vertriebsstrukturen für Infor-mations-, Bestell-, Auslieferungs- und Rechnungswesen sowie den Aufbau einer Service-infrastruktur für den Endkunden. Fehler oder mangelhafte Sorgfalt beim Aufbau der Ver-triebsstrukturen mit dem Endkunden können schnell zu einem beträchtlichen Imageverlust für den Hersteller führen. Daher sollte beim Einsatz von Electronic-Commerce-Diensten direkt beim Hersteller neben den Chancenaspekten und den möglichen Kos-teneinsparungen auch die Risiken und Probleme der organisatorischen Veränderungen nicht unberücksichtigt bleiben.

2.4.3.3 Zunahme von Disintermediation

Mit Ausnahme von Mail-Order und Factory-Outlet findet im klassischen Produkt- und Warenverkehr keine unmittelbare Interaktion zwischen dem Hersteller und dem Endkon-sumenten statt. Im klassischen Konsumgüterbereich werden Produkte in der Regel über mehrere Handelsstufen, beispielsweise über Fachmärkte und Großhandel dem Endver-braucher angeboten. Der Einsatz des Electronic Commerce im Internet umgeht die In-termediation über diverse Handelsstufen und Vertriebskanäle und erlaubt eine zuneh-mende Disintermediation, die unmittelbare Interaktion des Konsumenten mit dem Herstel-ler . Auf der Internetseite des Herstellers kann der Kunde direkt mit dem Hersteller kommunizieren und Bestellvorgänge initiieren. Die Distribution der Waren vom Hersteller zum Endkunden erfolgt unter Ausschaltung klassischer Vertriebskanäle direkt über Logis-tikpartner wie UPS oder Deutsche Post. Abbildung 13 zeigt die Auswirkungen der Elekt-ronischen Märkte auf den Kommunikations- und Warenfluß zwischen Hersteller und Kon-sument.

Abbildung 13: Das Prinzip der Disintermediation

2.4.3.4 Eliminierung von Produkten und Dienstleistungen

Das Internet stellt für einige Branchen ein gewisses Bedrohungspotential dar, dessen Produkte oder Dienstleistungen durch das Internet weitestgehend eliminiert oder durch entsprechende Internet-Produkte und –Dienstleistungen substituiert werden . Allgemein erfolgt das Eliminieren von Produkten vor allem, wenn diese langfristig negative De-ckungsbeiträge erzielen und die Produktion ohne weitere Vorteile wie Image-, Prestige-, Verbund- oder Programmbreitenvorteile verbunden ist. In der Praxis erfolgt eine Eliminie-rung von Produkten und Dienstleistungen, wenn Substitutionsprodukte auf den Markt drängen und die Nachfrage umlenken; beispielsweise als CD-Player innerhalb weniger Jahre die traditionellen Plattenspieler verdrängten.

Bislang konnten erst wenige Produkte und Dienstleistungen durch das Internet verdrängt werden. Nachdem zum Nachschlagewerk Encyclopedia Britannica eine entsprechende Online-Ausgabe erschien, ist die Nachfrage nach dem gedruckten Werk nahezu um mehr als 50 Prozent zurückgegangen . Völlig eliminiert wurde das Produkt damit jedoch noch nicht, es erfolgte vielmehr eine Differenzierung des Angebots, das zu einer „Kannibalisierung“ ([Lam98], Seite 196) führte.

Eine echte Eliminierung erlebten in den USA einige Special-Interest-Zeitschriften und Magazine aus den Bereichen Jura und Medizin. Die gedruckte Version der Magazine wurde eingestellt; die Magazine erscheinen nur noch als Online-Version im Internet . Das hat für die Anbieter allerdings auch Vorteile, da aufgrund der relativ kleinen Zielgruppe und Leserschaft die Produktion der Online-Variante wesentlich günstiger erfolgt als die Print-Version.

Bedrohungspotential ergibt sich beispielsweise auch für Reisebüros, insbesondere im Geschäftsfeld der Last-Minute-Reisen, das eine hohe Aktualität der Angebote erfordert. Insbesondere traditionelle Telefonansage sowie Call-Center werden mit zunehmender Popularität des Internet Konkurrenz durch entsprechende Internet-Angebote bekommen. Neben der Aktualität bietet das Internet für den Kunden den Vorteil des einfachen Preis-vergleichs zwischen mehreren Anbietern sowie der gewahrten Anonymität des Kunden .

Interessanterweise konnte das Internet bislang nicht die bestehenden Online-Dienste wie T-Online, AOL sowie CompuServe verdrängen , da diese sich frühzeitig das Internet zunutze machten und selbst als Internet-Access-Provider auftraten. Die Online-Dienste profitierten auf diese Weise sogar von der Popularität des Internet. Das Internet sowie die traditionellen Online-Dienste haben sich somit zu komplementären Produkten entwi-ckelt .

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